20. Dezember 2016
 

“ICH VERSUCHE IRGENDWIE, DIE LUST ZU BEHALTEN.” Susanne Schneider im Gespräch mit Christian Buß.

Christian Buß ist der Fernsehkritiker von SPIEGEL ONLINE. Zum Zeitpunkt des Gesprächs mit VDD-Vorstandsmitglied Susanne Schneider saß er in der Jury des diesjährigen Grimmepreises. Aus dieser Postion heraus und mit jahrelanger Erfahrung als Filmkritiker ausgestattet, spricht er über die Lage des deutschen Fernsehens.

 

SCHNEIDER

Herr Buß, Sie haben jetzt eine geballte Ladung deutsches Fernsehen hinter sich, können Sie ein Fazit ziehen?

 

BUß

Ja, ich war ja schon einige Male in Marl dabei, diese Jury-Sitzung war aus meiner Sicht die Beste. Nach harten, kontroversen Diskussionen kristallisierte sich eine gemeinsame Linie heraus. Es war starker Jahrgang – vor allem in Sachen Serie. Wir hatten dieses Jahr “Weinberg”, “Deutschland 83” und “Weissensee”, und die Kinder- und Jugendjury hatte noch den “Club der roten Bänder”. Und ich muss zugeben: Auch das deutsche Fernsehen beherrscht das Genre Serie.

 

SCHNEIDER

Ich hake ein bei Deutschland 83.

Ich hab nochmal Ihre Kritik gelesen, Sie waren unglaublich positiv, wie eigentlich das gesamte Feuilleton. Wie erklären Sie sich die Diskrepanz zwischen dem Jubel des Feuilletons und der Nichtakzeptanz der Zuschauer?

 

BUß

Das hat seine Gründe möglicherweise im Programmumfeld: In der Privatsenderausstrahlungslogik überfordert eine anspruchsvolle, komplexe Serie möglicherweise den Stammzuschauer. Jemand, der hauptsächlich RTL guckt und in der Primetime eher ein Comedy-Format oder eine Doku-Soap erwartet, könnte durch „Deutschland 83“ überfordert sein.

Diese Serie hat von der Anlage her etwas Romanhaftes, es gibt reichlich Figuren und Ortswechsel. Das ist die eine Erklärung, die andere lautet: Vielleicht hat der relativ junge RTL-Zuschauer gar kein Interesse an so einem historischen Stoff, das ist ja eigentlich eher öffentlich-rechtliches Territorium.

 

SCHNEIDER

Könnte es nicht auch sein, dass die Serie einfach nicht so gut war wie Sie und Ihre Kollegen sie fanden und dass die Leute deswegen nicht geguckt haben?

 

BUß

Ach nein, wenn Sie mal schauen, was da sonst auf dem Sendeplatz läuft – großartiges Erzählfernsehen ist das nicht. Meiner Meinung nach geht die Logik nicht auf, zu sagen, die Quoten waren schlecht, weil die Serie schlecht war. Fanden Sie „Deutschland 83“ nicht gut?

 

SCHNEIDER

Zunächst: Die Quote ist weiß Gott kein Qualitätsmaßstab, ich denke, da sind wir uns einig. Allerdings konnte ich die Jubelchöre des Feuilletons nicht nachvollziehen.

Ich fand sie zu kolportagehaft und im Vergleich zu “Weissensee” psychologisch zu ungenau, teilweise unglaubwürdig. Und wenn ich sage unglaubwürdig, so meine ich das von der Psychologie der Figuren her, die erzählerische Wahrhaftigkeit blieb teilweise auf der Strecke. Insgesamt war mir das zu simpel gestrickt.

 

BUß

Die Kritikpunkte kann ich nachvollziehen. Die Serie hatte große ikonographische Bilder, die psychologische Entwicklung der Figuren hatte tatsächlich Schwachpunkte. Aber die sind für mich von untergeordnetem Interesse. Ich sehe Fernsehkritik vor allem als Debatteninstrument. Wenn ich etwas gut finde, ordne ich die Schwachpunkte bewusst unter. Ich versuche, der Kritik eine Richtung zu geben, an der man sich reiben kann. Das gilt natürlich auch anders herum: dass man Sachen drastisch kritisiert – obwohl möglicherweise auch Positives zu berichten wäre. Dann kann der Leser seinen Widerspruch umso deutlicher formulieren. Nichts ist langweiliger als eine Alles-dufte-Fernsehkritik.

Dass mich „Deutschland 83“ nun gleich so angesprungen hat, liegt auch daran, dass ich es immer vermisst habe, dass man nicht auch in Deutschland sowas wie ein Spionage-Melodram hinkriegt. Wir erzählen Geschichte und Geschichten psychologisch und klug nach, aber dass man einen Stoff dramatisiert wie etwa in einem Hitchcock-Film – nehmen wir Cary Grant in “North By Northwest” – das ist hierzulande verpönt.

 

SCHNEIDER

Damit wird aber lustvoll gespielt -

 

BUß

Es ist doch toll, Geschichte aus dem Historikergriff zu befreien, um eine lustvolle Story “aufzumachen”. Und das hat mich gerade an der ersten und zweiten Folge von “Deutschland 83” begeistert. Ich hab erst mal Respekt vor dem Versuch, etwas anders zu machen. Und die Bilder von „Deutschland 83“ waren nun mal furios wie selten im deutschen Fernsehen...

 

SCHNEIDER

Zweifellos.

 

BUß

Ich sage natürlich nicht: Lasst uns Geschichte einfach so erzählen, wie sie uns gerade passt - und natürlich ist ganz klar eine Grenze zu ziehen zur Geschichtsklitterung.

 

SCHNEIDER

Lasst uns doch mal großzügiger sein, was die historische Genauigkeit angeht,das finde ich erst mal interessant, aber das ist immer ein schmaler Grad. Man ist einer Dramaturgie verpflichtet und man ist verpflichtet, den Kern der Erzählung zu finden, und danach richtet sich, wie und was man erzählt. Wo verlässt man die Historie, und in welche Richtung. Ich plädiere für größtmögliche erzählerische Freiheit, aber innerhalb des narrativen Systems,das man baut, muss man genau sein.

 

BUß

Volle Zustimmung.

 

SCHNEIDER

Das bringt mich auf die nächste Frage. Die vielen Biopics und Filme nach wahren Begebenheiten, die gedreht werden, ob über Franz- Josef Strauß, Rommel, die Barschel-Geschichte, die Spiegel-Affäre, Lengede, Der Kannibale von Rothenburg, die Reihe könnte endlos fortgesetzt werden:

Wie empfinden Sie das als professioneller Fernsehzuschauer? Haben Sie nicht Sehnsucht nach Geschichten, die Sie nicht schon aus den Nachrichten kennen? Sprich: nach Originalstoffen? Das ist jetzt natürlich manipulativ gefragt, aber haben wir nicht einen Mangel an frei erfundenen Geschichten? Die keine Krimis sind, wohlgemerkt.

 

BUß

Ich muss auf die Frage zwiespältig reagieren. Ich finde es erstmal gut, dass reale Personen und Ereignisse verhandelt werden - auch in Form der Doku- Fiktion. Das viel geschmähte Doku-Drama ist meines Erachtens ein grandioser Genre-Hybrid, übrigens einer, für den uns viele US-Fernsehschaffende beneiden.

Aber es gibt geradezu einen Wahn des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, immer, immer wieder, diese Stoffe hervorzuholen und möglichst originell schon tausend Mal abgehandelte Phasen der BRD- oder DDR-Geschichte aufzubereiten. Und dieser Wahn führt natürlich zur Übersättigung, zur Langeweile. In der Dichte, in der die Geschichte gefügig gemacht wird, um Geschichten zu erzählen, wird das deutsche Fernsehen bald an sich selbst verrecken. Aber ich genieße als Kritiker den Luxus, viel gucken zu dürfen, da freue ich mich dann über echte Perlen im Meer der Langeweile.

 

SCHNEIDER

Was war eine Perle?

 

BUß

Zum Beispiel der Dreiteiler „Die Wölfe“ von Friedemann Fromm, der mich damals vollkommen überrascht hat. Auch der Sendeplatz, das war ja die Zeitgeschichte-Redaktion vom ZDF. Ein Epos, das die Nachkriegszeiten in BRD und DDR erzählt, wie aus einer Gruppe von Freunden ganz unterschiedliche Lebensläufe entstehen - das fand ich fantastisch erzählt.

Ich glaube aber, dass sich das Fernsehen sich jetzt langsam aus der historischen Zwangsjacke befreit. Den Barschel-Zweiteiler fand ich schon ziemlich klasse. Die Macher sind frei mit der Materie umgegangen, haben historische Bilder in einen amtlichen Journalistenthriller verwandelt. Sie haben eine eigene Wahrheit geschaffen.

 

SCHNEIDER

Ich bin überzeugt davon, dass es gar nicht anders geht, wenn man tatsächlich einer Zeit, einer Ära, einer Figur nahe kommen will. Man muss den eigenen Zugriff finden.

Das bringt mich zur nächsten Frage: Haben Sie eine Erklärung dafür, warum wir uns mit fiktionalen politischen Stoffen so schwer tun?

“Die Stadt und die Macht”, über die Sie eine schlechte Kritik geschrieben haben, und ich teile voll und ganz, was Sie da geschrieben haben, war ein Beispiel dafür, was alles schief gehen kann. Andersherum gefragt: Warum können wir keinen “Frank Underwood” erzählen? Sehr wohl aber können wir es über unsere historischen Bad Boys wie Barschel oder Franz-Josef Strauß. Haben Sie eine Theorie?

 

BUß

Zuerst mal Kompliment! Mir war das noch gar nicht so klar. Ich weiß auch nicht, warum wir einerseits ins Schlafzimmer von realen Personen blicken wollen, ins Badewannengrab von Barschel oder ins abgedunkelte Zimmer von Hannelore Kohl...

 

SCHNEIDER

Das ist uns ja Gott sei Dank erspart geblieben...-

 

BUß

Und weshalb wir es meist dann doch nicht schaffen, dieses Gefühl des Politischen, das uns entgegenschlägt, wenn wir den Fernseher oder Computer anmachen, in die fiktionale Narration zu bekommen. Überall wird Politik reflektiert, Gefühle zur politischen Lage werden fast manisch gespiegelt. Aber augenscheinlich gelingt es dem deutschen Fernsehen nicht, Politik – egal ob Kommunal-Klein-Klein oder Staatsaffären - so zu erzählen, dass wir den Menschen nahekommen, die sich in der Macht verheddern.

Die große Leistung von “Borgen” bestand ja darin, dass es dort eine Sympathieträgerin gibt, die einerseits von der Macht zum Teil zerrieben wird, aber auch selber diese negative Kraft nutzt. Und das auch im Privaten. Warum funktioniert das nicht im deutschen Fernsehen? Möglicherweise hat man Angst, die Politiker auf Menschenformat herunterzuholen - aber politische Prozesse werden nun mal von Menschen gestaltet, die sind, wie sie sind. Möglicherweise hat man auch Angst vor Bezügen zur Wirklichkeit. Ich bin jedenfalls fest überzeugt, dass es Autoren und Regisseure gibt, die ein deutsches „Borgen“ zustande brächten.

 

SCHNEIDER

Leider Gottes ist nun wieder für Jahre der angebliche Beweis erbracht, wie damals bei der Serie “Kanzleramt”, dass “Politik im Fernsehen nicht geht”. Das ist übrigens das Originalzitat eines ZDF-Verantwortlichen.

Der deutsche Zuschauer möchte angeblich keine Schauspieler sehen, die Politiker spielen. Es geht nur in der Kopie, also z.B. Ken Duken spielt Strauß,dann wird das akzeptiert. So war die Begründung. Es ist sehr traurig für uns Autoren, weil sich eine Kultur des politischen Erzählens ja auch herausbilden muss, und dafür gibt es nicht den Raum.

Man traut den Leuten nicht zu, sich für Politik und die Verwerfungen der Macht zu interessieren, wenn man sie nicht in der Historie oder an realen Personen verankern und somit legitimieren kann. Das war ja auch die Crux bei “Die Stadt und die Macht”. Man hat man dem Stoff nicht getraut und das Politische durch das Private ersetzt.

 

BUß

Richtig, man hat nicht wie bei „Borgen“ eine Person ins Zentrum gestellt, mit der man sich identifizieren kann und eine psychologische Studie über die Verwüstungen der Macht erstellt, und man hat den Stoff auch nicht als komplexes Intrigenspiel, als Staatsschauspiel nach „House of Cards“-Vorbild angelegt.

Das Ergebnis ist ein halbherziger Mischmasch. Das hat dann nicht funktioniert, auch weil das böse, böse ZDF nach Meinung der ARD noch etwas dagegen programmiert hat. Was als Entschuldigung natürlich lächerlich ist. Aber warum nimmt die ARD verdammt nochmal nicht einfach noch mal 6 Millionen Euro in die Hand, auch wenn es dann nur eine Quote von 2,5 Millionen auf einem Sendeplatz gibt? Vielleicht klappt’s beim zweiten Mal. „Borgen“ wurde auch nicht an einem Tag erbaut.

 

SCHNEIDER

Das ist das ewige Rätsel, warum dieser Quotenhörigkeit nicht beizukommen ist. Und da gebe ich gleich eine weitere Frage dazu: Warum kommt von Seiten der Kritik,also von Seiten derer, die professionell auf Fernsehen schauen, so wenig Strukturkritik?

Sprich: Es werden die Entstehungsbedingungen von Filmen immer mal wieder schlaglichtartig beleuchtet, dann ist wieder zwei Jahre Ruhe. Aber wie sind denn mittlerweile die Arbeitsbedingungen für Autoren, für Regisseure, wie funktioniert so eine Senderhierarchie, wie ist die politische Einflussnahme, wie sind die Verkrustungen innerhalb der Sender? Wo bleibt das viele GEZ-Geld? Wir haben ja feudale Zustände wie am Hof von Ludwig XIV. Also warum wird da so wenig reingeleuchtet? Von Ihnen und Ihren Kollegen.

 

BUß

Ich glaube, dass ich die Entstehungsbedingungen von bestimmten Produktionen in einigen meiner Artikel schon miterzähle. Ich kenne die Strukturen ja, ich weiß auch, dass der Drehbuchautor in der Produktionskette nicht unbedingt das schwächste Glied ist, aber doch den unangenehmsten Job macht. Wenn irgendwas nicht funktioniert, dann war es der Autor.

Der riesige Redaktionsapparat tut dann unschuldig. Ich versuche bei Verrissen den Spot auch durchaus auf die Redaktion zu lenken, weil ich weiß, welch langen, oft traurigen Weg ein Buch gehen kann. Man kennt ja Haltungen und Handschriften von Autoren und kann sich bestimmten Endergebnissen vorstellen, wie viele Redakteure da noch mal über den Stoff gegangen sind, um ihn vermeintlich zu verbessern. Aber klar, da muss ich mir an die eigene Nase fassen, man muss tatsächlich noch mehr die Strukturen aufzeigen. Aber das ist ein investigativer Ansatz, der aufwendig ist. Mir schlägt ja, egal mit wem ich spreche, fast nur Wut und Verzweiflung aus ihrer Branche entgegen -

 

SCHNEIDER

(lacht) Ehrlich?

 

BUß

Ja, auch von Leuten, die sehr gut im Rennen sind, alle verzweifeln am System. Eine umfassende Geschichte über das deutsche Fernsehen wäre die Geschichte einer Frustrationskette. Aber ganz ehrlich: Geht es an Eingemachte, spricht halt kein Autor offen über die Missstände, da jeder im Abhängigkeitsverhältnis zu einer mächtigen Redaktion oder einem mächtigen Produzenten steht. Das kann ich natürlich gut verstehen. Aber bevor Sie die Fernsehkritiker dafür kritisieren, dass sie zu wenig Strukturkritik betreiben, müssten natürlich erstmal die Drehbuchautoren geschlossen aufbegehren.

 

SCHNEIDER

Das Schlüsselwort ist „geschlossen“. Wir sind zu viele, wir sind schlecht organisiert und wir sind Einzelkämpfer. Das machen die Amerikaner besser mit ihrer Writers Guild. Trotzdem macht es unser Verband an allen Fronten. Leider begreifen viele Autoren nicht, dass wir noch stärker wären, wenn sich noch mehr Autoren organisieren würden. Aber nochmal zurück zum Verdruss: Ich lese ja immer amüsiert, manchmal auch verärgert, das Gemaule der Leute in den verschiedenen Foren über die ´Zwangsgebühr, also die GEZ. Es wird sich darüber ausgelassen, dass das Programm eine Katastrophe sei und eigentlich schaut keiner mehr fern. Wenn man also, das haben Sie ja vorher auch gesagt, so einen Verdruss spürt, und zwar auf beiden Seiten, den Zuschauern und den Machern, dann geht´s ja auch darum mal reinzuleuchten, woher kommt dieser Verdruss.

Warum wird so wenig gewagt? Warum fliegen die Filme nicht? Was passiert innerhalb der Sender? Woran hakt es grundsätzlich? Woher kommt diese Quotenhörigkeit? Wovor haben die Leute in den Sendern Angst? Die nisten oft in unkündbaren Stellungen, was also ist los mit denen? Da immer wieder einen kritischen Journalistenblick drauf zu werfen, passiert meine Meinung nach zu wenig.

 

BUß

Ja, das stimmt. Andererseits wurden diese Kämpfe ja leidenschaftlich in den Nullerjahren geführt, da gab es unter Medienkritikern einen öffentlich-rechtlichen Generalverdacht. Ich glaube, dass momentan die Medienkritik ein wenig in diese Krise geraten ist, da die Medien selbst in die Krise geraten sind. Wenn alles ständig im Umbau ist, werden die Frontverläufe unübersichtlich. Was ich allerdings deutlich kritisieren kann:

 

Einige Redaktionen gehen schändlich mit ihren Drehbuchautoren um. Was mich echt nervt, wenn ich mit Redakteuren spreche ist dieses Generalleiden fast verbeamteter Apparatschiks, die die Verantwortung für gescheiterte Projekte an prekär arbeitende Skript-Sklaven abgeben. Nach dem Motto: “Und die Bücher sind soooo schleeecht”.

 

SCHNEIDER

Manchmal stimmt es ja auch. Manchmal sind sie nicht ausentwickelt, manchmal zu Tode entwickelt.

 

BUß

Klar, es gibt viele schlechte Bücher, aber auch gute, und das merkt man ja, wenn etwas durchkommt. Oft sind das Filme, die unter dem Radar gemacht werden. Aber sobald ein ambitioniertes, großes Projekt ansteht, kann man sicher sein, dass so viele Instanzen das Ding durchwinken müssen, die, auch um ihre Existenz zu legitimieren, noch mal ihren Senf dazu geben. Darin sehe ich das Hauptproblem.

 

SCHNEIDER

Vollkommen richtig.

 

BUß

Trotzdem gilt natürlich: In den Credits steht der Name des Drehbuchautors, und bei allem Wissen über Produktionsbedingungen komme ich nicht umhin, ihn zu nennen. Wenn es z. B. um einen Tatort geht, in dem viel öffentlich rechtliches Geld steckt und der viel Aufmerksamkeit erfährt, muss man auch dezidiert sagen: Das geht gar nicht.

 

SCHNEIDER

Da komme ich nochmal auf das Strukturelle zurück. Manchmal sitzen drei Redakteure mit einem Autor zusammen, dazu noch der Producer und der Assistent des Producers und was weiß ich noch wer. Das ist ein vollkommenes Missverhältnis. In diesen Sitzungen wird dann jedes Steinchen umgedreht, jeder hat was zu versenden. Dann kommt der Regisseur, hat seine Basecap auf, verbreitet eine Atmosphäre absoluter Problemlösungskompetenz und alles wird wieder über den Haufen geworfen. Also da staunt man manchmal wirklich Bauklötze.

 

BUß

Dann soll der Redakteur es doch selber schreiben - glaubt er überhaupt an die Geschichte oder tut er nur so. Stelle ich mir sehr frustrierend vor.

 

SCHNEIDER

Ich wehre mich da mittlerweile. Es gibt Regisseure, da sage ich: Mit denen nicht. Man ist als Autor immer gefordert, die Grenze zu ziehen und notfalls auch auszusteigen, wenn es nicht anders geht. Regisseure, dies nur ganz kurz, sind natürlich auch in einem scharfen Existenzkampf, man sagt dann bei Projekten zu, einfach damit man etwas zu arbeiten hat, und dann wird das Buch umgekrempelt, auf das hin man ja eigentlich zugesagt hat. Umschreiben ist natürlich auch deswegen so beliebt, weil man dann Wiederholungshonorar beteiligt ist. Aber da muss als Autor sagen: Dann macht´s halt ohne mich. Lesen Sie eigentlich manchmal Drehbücher?

 

BUß

Ähem, eigentlich nicht -

 

SCHNEIDER

Erwischt!

 

BUß

Wir machen das manchmal bei der Grimme-Jury, um gerade bei Kontroversen unter den Juroren nochmal in die Tiefe zu gehen. Aber ansonsten schaue ich so viele Filme, dass ich dafür selten auch noch die Zeit habe.

 

SCHNEIDER

Wieviel Filme gucken Sie denn pro Woche?

 

BUß

Kommt immer drauf an. Bewusst gucke ich einen oder zwei Filme pro Tag und dann noch ein bisschen Fernsehen drum herum.

 

SCHNEIDER

Ich bin voller Bewunderung, das muss ich wirklich sagen.

 

BUß

Na ja, das ist das Mindeste, um eine Vergleichsbasis herzustellen. Es gibt Phasen, zu bestimmten Jahreszeiten, da gucke ich aber auch wirklich auf Lücke. Auch um eine gewisse Grundverdrosseneit zu vermeiden, unter der viele Kritikerkollegen leiden, Ich bin ja einer der Wenigen, der sagt: Deutsches Fernsehen kann so toll sein; das finden meine Kollegen voll uncool. Man muss auf eine gewisse Hygiene achten, dass man sich wachhält, um die guten Sachen goutieren zu können, wenn sie denn kommen.

 

SCHNEIDER

Das finde ich hoch anrechnenswert! Mir fällt das mittlerweile schwer.

 

BUß

Es ist ja mein Job. Ich werde ja dafür bezahlt. Man kann etwas dagegen sagen, wie ich schreibe, oder gegen die Härte in der ich schreibe, aber ich versuche, irgendwie die Lust zu behalten, ich will Sachen gut finden oder scheiße. Was ich nicht will, ist gelangweilt die Augen rollen. Bloß nicht ins Griesgramloch fallen!

 

SCHNEIDER

Es wäre doch aber interessant, wenn aus so einer Grundverdrossenheit, egal wie berechtigt oder unberechtigt, eine vehementere Kritik erfolgen würde, die dann wiederum zu einer Verbesserung der Zustände führen könnte. Welche Filme werden denn überhaupt gemacht? Das ZDF hat ja bereits den Spottnamen “Leichenberg” wegen der Flut an Krimis, die es produziert. Dann gibt es die Pilcherschen Melodramen, die Biopics und dann den ganzen Katalog angeblich gesellschaftsrelevanter Themenfilme. Missbrauch, Schwule, Down-Syndrom, Alkoholismus, Mobbing.

 

BUß

Mit solchen Themenfilmen wird es den Redakteuren

leicht gemacht, die sind immer leicht zu legitimieren. Es ist ja gut, sich mit einem gesellschaftlich relevanten Thema auseinanderzusetzen, aber man tut dann nur so als ob man ein heißes Eisen anfasst. Zum Beispiel “Operation Zucker”, ein Film der sehr gefeiert wurde. Aber wurde da wirklich ein mutiges Statement zum Thema Missbrauch vorgenommen? Ich finde nicht.

 

SCHNEIDER

Eine Konsensgeschichte, die ich aber sehr gut gemacht fand.

 

BUß

Man reißt das Thema an, aber man macht es dann doch nicht wirklich auf. Als Kritiker kann man dann wenig dazu sagen, weil der Film redlich ist. Ich will sowas dann auch gar nicht verreißen, es ist ja gut gemeint. Aber ein heikles Projekt ist das nicht, sowas kriegt man natürlich in der öffentlich-rechtlichen Instanzenkette gut durchgesetzt. Wahrscheinlich viel leichter als eine wirklich lustige Komödie. Wissen Sie, weshalb es kaum lustige Filme im deutschen Fernsehen gibt?

 

SCHNEIDER

Das ist ein Mysterium. Da bin ich auch ratlos. Es hat wohl mit unserem Humorverständnis zu tun. Ich will noch eine Frage zu dem stellen, was Sie gerade gesagt haben: Bei Ihrer Kritik zum Zschäpe-Film “Ausfahrt Gera”, hat mich gewundert – nein, ich muss andersherum fragen: hat für Sie bei diesem Film der moralische Aspekt, also dass man der Täterin eine solche Plattform bietet, solange ein Prozess noch läuft, gar keine Rolle gespielt?

 

BUß

Nein, weil der Film für mich sehr sauber gebaut war. Weil er dieses Protokoll über Zschäpes bewachten Ausflug zu ihrer Großmutter, das es gab, in starke Szenen umgesetzt hat.

Natürlich hat eine Interpretation der Figur stattgefunden, aber es gab weder eine Dämonisierung noch Sympathiebekundungen. Der Film hat bewusst kein abgeschlossenes Bild von Zschäpe gezeichnet, sondern er hat sie als die Medienfigur gezeichnet, die Zschäpe inzwischen ist. Sehr klug, sehr korrekt.

Moral spielt für mich in der Bewertung dieses Filmes keine Rolle. Ich will wissen, wie ein Mensch funktioniert, der seine mediale Spiegelung immer mitdenkt. Ich finde es spannend und wichtig, dass fiktionales Fernseherzählen sich an der unmittelbaren Gegenwart und ihren Protagonisten abarbeitet. Klar, das ist riskant, aber auch notwendig.

 

SCHNEIDER

Da bin ich anderer Meinung. Man behandelt ein Stück Wirklichkeit, über das ich mich gut informieren kann, ich habe so viele Medien zur Verfügung, mit und durch die ich in Kenntnis gesetzt werden kann über das, was war und was ist, warum also muss ich so zeitnah, das ist mein Punkt, ohne jegliche historische Distanz, mich mit einem solchen Thema fiktional befassen? Ich verstehe das nicht so ganz.

 

BUß

Ich verstehe das schon.  Es kommt darauf an, wie konsequent das gemacht ist. Mich interessiert schon, wie ein Mensch oder eine Gruppe von Menschen Gewalt als verbindendes Moment nutzt. Ich will so ein fiktionalisiertes Erzählen der Gegenwart, der direkten Gegenwart unbedingt sehen, ich will kein Sicherheitsnetz der historischen Distanz. Deshalb befürworte ich auch prinzipiell den NSU-Dreiteiler in der ARD.

 

SCHNEIDER

Es ist eine Haltungsfrage, von Seiten der Macher natürlich. Denn ich muss ja in irgendeiner Form Empathie wecken und die Frage beantworten, warum ich über 180 Minuten mit Figuren gehen soll, die ich eigentlich abgrundtief verabscheue. Ich rede jetzt nicht von einem moralischen Standpunkt, man braucht keine Moral als Erzähler innerhalb dessen, was man erzählt, aber ich bin vor die Aufgabe gestellt, wie komme ich diesen Figuren nahe, und wie bringe ich es fertig, dass der Zuschauer mit diesen Figuren geht, also wie schaffe ich eine Plausibilität und Emotionalität, ohne mit denen in irgendeiner Weise zu fraternisieren. Insofern bin ich auch sehr gespannt, wie das funktioniert und ob das funktioniert.

Und was ich mir auch enorm schwierig vorstelle: die Rollen von Gut und Böse sind verteilt. Wir wissen alle, was passiert ist. Wo kommt man dazwischen, wo sind die Räume, wenn man nicht nur brav nacherzählen will. Ich bin sehr neugierig, hätte es aber nicht schreiben wollen. Es ist die Fortsetzung von Journalismus im fiktionalen Programm.

Ich bin gespannt, wie Sie darüber schreiben werden. Zumal ich von Ihnen - das hat mich verwundert - nie etwas Bösartiges gelesen habe. Bei allem, was ich von Ihnen kenne, geht es doch immer um eine Suche nach Verständnis, auch wenn der Film nicht geglückt ist, wie jetzt der letzte Striesow-Tatort.

 

BUß

Nett, dass Sie das sagen, weil man manchmal an seine Grenzen kommt, und so war es bei diesem Tatort. Weniger wegen Drehbuch oder Regie. Meine Kritik geht da in Richtung SR-Redaktion, die es nicht schafft, um einen Klasse-Schauspieler wie Striesow ein Konzept zu bauen, in dem der Kommissar nicht wie ein Kaspar rüberkommt.

 

SCHNEIDER

Ja, das ist wirklich schade. Darf ich Sie noch zwei einfache Sachen fragen? - Haben Sie eine Lieblingsreihe?

 

Buß

Der Rostocker Polizeiruf und der Dortmunder Tatort, da wurden zwei Teams aufgebaut mit einer starken Dynamik.

 

SCHNEIDER

Die Rostocker bemühen sich um die berühmte Horizontale, um die wird sehr gekämpft. Das weiß ich aus eigener Erfahrung.

 

BUß

Haben Sie eine Folge geschrieben?

 

SCHNEIDER

Ja. Und entgegen sonstiger Gepflogenheiten habe ich mir die DVD vom Rohschnitt nicht schicken lassen, ich habe also keine Ahnung, was auf mich zukommt -

 

BUß

Da freue ich mich drauf, wie gesagt, selbst eine schlechte Folge ist im Vergleich noch eine gute.

 

SCHNEIDER

Naja, mal sehen. Es gibt schon die Fälle, wo man als Autor Schnappatmung kriegt, wenn man das Ergebnis sieht. Ich behalte mir auch vor, ob dann mein Name druntersteht oder nicht. Es gibt viele Möglichkeiten, ein Buch zu verunstalten. Und die Redakteure und Produzenten, die bei der Stoffentwicklung jedes Komma umgedreht haben, sind, wenn es an den Dreh oder Schnitt geht, manchmal von bemerkenswerter, sagen wir mal, Flexibilität. Natürlich muss ein Regisseur reagieren können, wenn etwas im Buch nicht funktioniert, es geht hier nicht um die Eitelkeiten des Autors, aber leider manchmal um die Eitelkeiten oder Schlampigkeiten der Regie.

 

BUß

Ist das so? Hat man wirklich immer die Option den Namen zurückzuziehen und trotzdem sein Honorar einzustreichen?

 

SCHNEIDER

Ja! die Arbeit hat man ja gemacht.

 

BUß

Wie geht das dann, Pseudonyme sieht man doch selten, oder?

 

SCHNEIDER

Die können Sie ja nicht als solche erkennen.

 

BUß

Auch wieder wahr. Aber steht dann am Ende nicht der Regisseur als Co-Autor in den Credits?

 

SCHNEIDER

Es wurde ja nicht umgeschrieben, sondern einfach nur so schrecklich falsch inszeniert, dass das Gesamte nicht mehr stimmte. Einer der beiden Filme, bei denen ich meinen Namen zurückgezogen habe war ein Tatort, der läuft unter dem Label Krimi, und ich bin da ganz Old School: der Krimi muss funktionieren und nicht den Mätzchen des Regisseurs zum Opfer fallen. Sie haben da ein größeres Herz.

 

BUß

Das nehme ich mal als Kompliment. Auch wenn ich nicht weiß, ob das stimmt. Fun Fact: Der NDR-Unterhaltungschef Thomas Schreiber hat mich mal wegen eines Verrisses des Til-Schweiger-Tatort angeblafft. Er sagte: “Das ist typisch für Sie, Sie sind ja immer bei den Schwachen!” Da dachte ich, was soll ich sagen? Das können Sie gerne auf mein Grab schreiben. Auch wenn es ein bisschen zu viel der Ehre ist.

 

 

SCHNEIDER

Das kann ich ja verstehen, dass man bei den Schwachen ist. Aber manchmal, wenn man Kritiken liest, da möchte man euch Kritiker am liebsten in ein Cocktailglas stecken und kräftig durchschütteln und sagen, Leute, warum guckt ihr nicht hin! Guckt doch einfach mal genau hin! Aber was ich schätze ist, dass man sich als Kritiker mit der Haltung annähert, dass das Beste versucht wurde, dass nichts runtergeschrieben wurde, nichts runtergehackt, sondern, das nehme ich jetzt auch für die Kollegen in Anspruch, dass jeder mit Schweiß und Elan dransitzt, man versucht das Beste, das dann leider nicht immer zum Tragen kommt.

 

Ich rede oft mit Kollegen, und was einen erschüttert ist, wie viele Bücher man geschrieben hat im Laufe seiner Autorenlaufbahn und wie viele Filme man davon wirklich geglückt findet und sagt, Wow, da ist etwas aufgegangen, da ist nochmal ne ganze Dimension dazugekommen.  Man ist beglückt von dem, was die Regie und die Schauspieler aus dem Buch gemacht haben, da wurde toll gearbeitet im Sinne dessen, worum es uns ging.

 

BUß

Ich stelle mir am allerschwierigsten vor, da nicht den Fokus zu verlieren. Bei all den Monaten, ja Jahren, die manche Projekte in der Entwicklung verbringen.

 

 

SCHNEIDER

Ja, da tragen wir Autoren das größte Risiko. Wir sind die Ersten, die die Stafette in die Hand nehmen und loslaufen ohne Gewähr, das Ziel zu erreichen. Alle anderen kommen erst

ins Spiel, wenn der Film tatsächlich auch gemacht wird. Wir tragen bei jedem neuen Projekt - wenn man nicht für eine laufende Serie arbeitet oder für eine Daily schreibt - ein enormes unternehmerisches Risiko.

 

BUß

Da habe ich sehr großen Respekt vor. Ich mache das von einem Tag auf den anderen, dann kriege ich vielleicht was auf den Deckel, sowas wie ´hättest du doch ein bisschen anders schreiben können oder ...-

 

SCHNEIDER

Oder die Leser maulen, der Buß hat was gut gefunden, also muss es schlecht sein, oder umgekehrt.

 

BUß

O ja. Das lieben sie, unsere Forumsteilnehmer. Aber da gebe ich gerne den Punchingball. Im Übrigen ist es vollkommen okay, dass auch der Fernsehkritiker gelegentlich mal einen Kopf kürzer gemacht wird.

 

SCHNEIDER

So weit kommt es hoffentlich nicht.  Herr Buß, ich bedanke