SPOTLIGHT 2 - Rede zum Deutschen Drehbuchpreis 2017
„Welcome to the land of the free – Rheinland-Pfalz!
Heute Abend soll es nur ums Kino gehen, und ich muss sagen, ich bin enttäuscht von den Amerikanern. Die hatten mal so tolle Bösewichte. Der Joker: Fiese Haarfarbe, falsches Grinsen, aber wenigstens ganz eindeutig wahnsinnig. King Kong: Dieses Trommeln auf die Brust, I am the Greatest, bisschen Old School. Aber immerhin nur einer Frau treu. Hannibal Lecter: Diskussionswürdige Tischsitten. Aber dafür trug er ja auch einen Maulkorb.
Heute Abend geht es nur ums Kino, und wir wollen das Gute feiern. Das besonders Gute sogar, in Gestalt der drei für die Goldene Lola nominierten Drehbücher: „Glückliche Reise“ von Andreas Sinakowski, er ist heute Abend hier, „Klandestin“ von Angelina Maccarone und „Sing für mich“ - Jens Köster, bitte auch kurz aufstehen, aber nicht singen, das erledigt die „Höchste Eisenbahn“.
Willkommen in der Stadt ohne Mauer! Mein Name ist Sebastian Andrae, ich darf Sie als Vorstand des Verbands deutscher Drehbuchautoren heute wieder begleiten bis zum Happy End.
Wofür brauchen wir Autoren den Antagonisten? Wofür brauchen wir Menschen den Gegenspieler? Damit es spannender wird? Ohne die Schlange wäre es langweilig geworden im Paradies - ich glaube nicht, dass Entertainment als Argument hier ausreicht. Der Antagonist fordert uns heraus. Er hilft dem Helden, zu sich selbst und auf seinen Weg zu finden. Der Heldin übrigens auch.
Dabei ist der Antagonist nicht notwendigerweise böse. Wer ist der Protagonist, Othello oder Iago, wer der Antagonist? Klar. Wir wollen PC sein. Auf keinen Fall ist Othello der Antagonist ... oder? Doch, der miese Intrigant Iago ist der leading man. Und überlebt. Sorry, Kreuzberg. Shakespeare war nicht PC, er war einfach Shakespeare. Und er zeigte schonungslos, dass sich das Böse durchsetzen kann, wenn dem Guten die Waffen oder die Erkenntnis fehlen. Oder sagen wir lieber, die Erkenntnis, gegen wen sich die Waffen richten sollen. Bitte nicht wörtlich nehmen, oder doch, denn auch Worte können Waffen sein und müssen es wohl auch manchmal.
In der Filmgeschichte haben sich verschiedene Typen von „villains“ etabliert, man könnte sagen: anwendungsbezogene Bösewichter. Dr. Mabuse und Dr. Frankenstein, beide deutscher Abstammung – nicht aus Rheinland-Pfalz natürlich! -, schufen Monster oder waren selber welche. Mindestanforderung für einen „mad scientist“ war damals ein akademischer Grad, oder anders ausgedrückt, man sollte wenigstens wissen, wie eine Atomrakete funktioniert, bevor man sie abschießt.
Es gibt aber natürlich grandiose Schurken ohne Schulabschluss. Scarface, Ex-Sträfling aus Kuba, schafft sich ein Imperium aus Geldwäsche und Drogenhandel und geht dabei über Leichen. Solche Einwandererkarrieren werden wohl in Zukunft schwieriger werden. Schade. Ich meine natürlich Al Pacino ...
White House Down – kennen Sie den Film? Roland Emmerich, unser deutscher Auswanderer in Hollywood, hat Regie geführt bei diesem Action-Thriller, James Vanderbilt das Drehbuch geschrieben, und es geht darum, dass eine paramilitärische Einheit ins Weiße Haus eindringt und das Kapitol sprengt. War damals ein Flop. Wir erinnern uns, das war die Zeit, als die USA sich noch von außen bedroht fühlten. Und auch hier trägt der Bösewicht wieder einen deutsch klingenden Namen. Emil Stenz. Manche Marken sind einfach nicht tot zu kriegen ...
Aber was haben all diese bedrohlichen Typen gemeinsam? Sie zwingen uns dazu, den Helden in uns zu entdecken, oder weniger pathetisch: eine Haltung zu entwickeln. Ein Monster wird freigelassen. Ein Gangster beseitigt rücksichtslos alle Gegner. Das Weiße Haus wird gekapert. Kein Grund zu heulen. Wir sind am Zug! Wir müssen das Licht anzünden, den Helm aufsetzen – kann auch ein Fahrradhelm sein, hallo, Mitte! - und uns auf den Weg machen.
Wir sind der Protagonist.
Welcher Art aber sind die Heldinnen und Helden, die wir lieben, die wir sein wollen? Nicht das eigene Ziel brutal durchsetzend und das eigene Ego über das Ganze stellend – sondern mitfühlend, für andere kämpfend und notfalls die eigenen Privilegien aufs Spiel setzend. Und bekommen wir diese Helden umsonst? Bekommen wir sie ohne Gegenspieler?
Machen wir den Test. Er ist relativ einfach. Ich will’s nicht zu spannend machen – könnte ich natürlich, ich bin Drehbuchautor -, ich weiß ja, Sie warten auf die Preisträger und vor allem warten die Preisträger auf den Preis. Also ein schneller Test. Schreiben wir zusammen die Filmgeschichte um - und schauen wir, ob es funktioniert:
Frankenstein. Das Monster bleibt brav zu Hause und hilft seinem Schöpfer beim Abstauben der Reagenzgläser. Die Dorfbewohner brennen die Mühle nicht ab und auch das kleine Mädchen bleibt am Leben. Hm. Ich will nicht grausam erscheinen – aber ist das ein Film?
Tony Montana scheitert an der US-Grenze. Er mischt den Drogenhandel nicht auf, zerlegt nicht mit der MG sein eigenes Appartement, beschließt sein Leben als Zigarrenroller in Havanna und taucht allenfalls noch in einer Doku von Wim Wenders auf. Okay. Geschichte geht anders.
White House Down ... nein, dazu fällt mir nichts mehr ein ...
Hannibal Lecter sattelt um auf vegan. Der Joker feilt an seinen Pointen und stellt einen Zuschauerrekord im Olympiastadion auf. King Kong heiratet die Weiße Frau und sie engagieren sich in einem Verein gegen Rassismus UND für Tierrechte – nice, würden wir uns im Leben wünschen, aber als Film nie anschauen und vor allem: ES GIBT KEINE HANDLUNG!
Was aber, wenn das Leben das Kino imitiert – oder sagen wir, eine schlechte Reality-Show – und wir uns sagen: Bin ich im falschen Film? Rausgehen geht nicht. Also schauen wir uns den Gegner genau an und nehmen wir dann den Kampf auf. Oder, wie es der große Kollege Dalton Trumbo gesagt hat, der einen Oscar für das beste Drehbuch gewann, als er in Hollywood auf der schwarzen Liste stand:
„Democracy isn’t a gift – it’s a responsibility.“
Liebe Gäste, bevor Sie sich gleich unter Autoren begeben, hier einige Warnhinweise. Sie sind meistens gutartig. Es sei denn, sie reden über Kollegen. Heute wurde viel gelobt – aber im Alltag schenken sich Autoren nichts. Es ist erstaunlich, aber die gnadenlosesten Urteile über Schreiber stammen von Schreibern –
„Ich bin nicht eifersüchtig auf Updikes Erfolg“, versicherte zum Beispiel Harold Brodkey. „Ich wundere mich nur, dass man mit seinem Zeug Geld machen kann.“ - „Bemerkungen sind noch keine Literatur“, bemerkte Gertrude Stein über Hemingway und „Jack Kerouac kann nicht schreiben, nur tippen“, fand Truman Capote. „Oh, Edgar Allan Poe, he is such a bad writer“, stöhnte Edward Gorey. „He is only good because Baudelaire translated him.“ – „Goethe ist der Totengräber des deutschen Geistes“, stellte Thomas Bernhard fest, wurde selbst dafür wiederum vom französischen Kollegen Hervé Guibert „Salzburger Korinthen kackender Schmähsabberer und Verzapfer syllogistischen Platitüdensalats“ genannt. Nicht schlecht. Etwas eleganter schnitt Cocteau ab: „Als Unterhaltungsmaschine der oberen Zehntausend, Poet vom Dienst auf mondänen Cocktailpartys führte er seine sanfte Melancholie brillant spazieren“, urteilte Claire Goll, und ich hoffe, jemand sagt eines Tages mal so was Nettes über mich. Besser jedenfalls als Turgenjews Urteil über den Kollegen Dostojewski: „Er ist der Pickel auf der Nase der russischen Literatur.“ Die schönste Begegnung aber hat Friedrich Dürrenmatt überliefert. „Da saß ich im Münchner Hotel Vier Jahreszeiten, etwas abseits saß Carl Zuckmayer. Und plötzlich erhob er sich und kam mit einer ungeheuer süßen Weinfahne zu mir herüber, stellte sich vor meinen Tisch und sagte: „Sie halten meine Stücke für Sch... und ich halte Ihre Stücke für Sch...“ Darauf sagte ich: „Herr Zuckmayer, das haben Sie sehr gut formuliert.“
Weder Zuckmayer noch Dürrenmatt sind heute Abend hier, es ist also kein Handgemenge zu erwarten. Wenn Ihr Gegenüber aber schmerzhaft offen über den Typen drei Tische weiter spricht, der so viele Zuschauer gar nicht verdient hat, oder über die Dame im viel zu knappen Kleid, die ja nur verfilmt wird, weil sie mit dem Produzenten, nun ja, ihre Drehbücher sehr direkt bespricht – dann nicken Sie freundlich. Das ist nicht böse und nicht gut, es ist einfach menschlich.
Halten Sie es auch aus, wenn Ihr Gesprächspartner GAR NICHT redet – kann bei Autoren auch vorkommen. Geben Sie ihm sieben, acht Minuten, wer weiß, vielleicht wird aus diesem gemeinsamen Schweigen ja ein toller Dialog im nächsten Drehbuch. Und wenn’s kein Dialog wird, dann wenigstens Berliner Schule ...
... danke, dass Sie bis hierhin durchgehalten haben. Einen angenehmen Aufenthalt, eine erfolgreiche Berlinale.
Welcome to the land of the free – willkommen im Reich der Gedanken!“
- gekürzte Fassung -
Neue VDD-Rubrik: 30 SPOTLIGHTS AUFS DREHBUCH
In loser Folge werden Analysen, Berichte und Zwischenrufe von Mitgliedern des Verbandes im VDD-Journal veröffentlicht. Die Autorinnen und Autoren werden zu Wort kommen und dabei die breitgefächerten Handlungsfelder des VDD, insbesondere aber auch das Drehbuchschreiben selbst, thematisieren.