29. März 2019
 

SCENARIOdigital. Vom Salz des Lebens und vom Gefäß des Bösen. Ein Werkstattgespräch mit Chris Kraus

Autor: Jochen Brunow 

von Jochen Brunow

Das folgende Werstattgespräch erschien 2009 im Band SCENARIO 3 im Bertz + Fischer-Verlag als Publikation der Carl-Meyer Gesellschaft und gefördert vom BKM, hrsg. von Jochen Brunow. Unter dem Label SCENARIOdigital wird der VDD weitere Werkstattgespräche und Essays aus dem Drehbuch-Allmanach Scenario veröffentlichen - mit freundlicher Genehmigung des Bertz + Fischer Verlags.

Chris Kraus ist Drehbuchautor und Regisseur unter anderem der viel beachteten und preisgekrönten Kinofilme „4 Minuten“, „Poll“ oder „Die Blumen von gestern“. In dem Interview spricht er über die biographischen Bezüge seines Erzählens, über die Zusammenarbeit mit Volker Schlöndorff und Detlev Buck. Im folgenden Auszug des intensiven Gesprächs geht es um die besonderen Herausforderungen beim Schreiben von Dialogen:

Kannst du etwas darüber sagen, was für dich einen guten Dialog ausmacht und wie du zu guten Dialogen kommst, wenn du schreibst?

Die Art und Weise, wie ich selbst zu Dialogen komme, hat mit meinem Verhältnis zu den Figuren zu tun. Sie müssen mir konkret vor Augen sein. Wichtig ist bei einem guten Dialog, dass das Gesagte und das Gemeinte auseinanderliegen, denn durch diese Differenz erhalten wir Einblick in den Charakter. Sie enthüllt das Programm der Figuren, das, was sie erreichen wollen. Wenn man in einem Gespräch nur fragt,wie viel Uhr es ist, kann das sehr Unterschiedliches bedeuten. Fragt zum Beispiel ein junges Mädchen, kann es heißen, lass uns ins Bett gehen, es kann ebenso gut heißen, willst du nicht endlich abhauen. Es kann natürlich auch heißen, dass man wissen will, wie spät es ist.

Die Kommunikationswissenschaftler nennen das den Unterschied zwischen der Beziehungsebene und der Inhaltsebene des Gesagten. Und für den Prozess der Verständigung dominiert die Beziehungsebene immer die Inhaltsebene. Entscheidend ist also gar nicht, was gesagt wird, sondern immer wie.

Je besser man einen Charakter kennt, bevor man anfängt zu schreiben, umso leichter gelingen die Dialoge. Das Sprechen hat mit der ganzen Psychologie der Figur zu tun, aber auch mit der Frage, hat er in diesem Augenblick Nierensteine, muss er übermorgen zu einer Operation?

Elias Canneti hat einmal geschrieben, man müsse als Autor für seine Figuren so etwas wie eine »Sprachmaske« finden. Was zweierlei bedeuten kann. Zum einen sollte man für den Sprechenden eine individuelle Sprache finden, so wie man ihm eine Maske verpasst oder ihn in ein konkretes Kostüm kleidet. Zum anderen maskieren wir uns mit dem Sprechen auch selbst, verstecken uns möglicherweise hinter dem Gesprochenen. Das finde ich zum Beispiel typisch für die Figuren von Rohmer, die sich immer um Kopf und Kragen reden.

Wenn einem als Autor Dialoge leichtfallen, muss man natürlich aufpassen, dass man nicht ins Gequatsche kommt, dass nicht uferlos geredet wird. Ich bin wirklich ein großer Fan des französischen Kinos, aber bei Rohmer musste ich mir immer in die Fingerknöchel beißen. Was hat dieser Mann für grauenhafte Filme verbrochen, weil seine Figuren nicht für eine Sekunde den Mund halten können. Ich komme oft über die Dialoge zu Handlungen, aber gerade deshalb brauche ich im Vorfeld so ewig lange Texte, denn nur ganz allmählich schält sich die Handlung, der Plot heraus. Da verkehrt sich dann schnell ein Talent in einen Fluch, weil man das Plotbauen mühsam erlernen muss.

Kann man das Dialogschreiben trainieren?

Nur durch Beobachtung von Menschen und ihren Sprechweisen. Ich schreibe zum Beispiel Tagebuch und höre oder erinnere dabei Dialog. Wir sprechen alle bruchstückhaft und bewegen uns im Reden über merkwürdige Hängebrücken, die dann auch plötzlich einstürzen können. Das Verfertigen der Gedanken beim Reden ist eine schwierige Sache. Aber es geht nicht nur um das natürliche Sprechen, ich feile und poliere natürlich auch Dialoge, damit sie eine Attraktion sind.

Wenn du Dialoge bereits in den Vorstadien des Drehbuch schreibst, sind die dann in indirekter Rede, oder wie geht das?

Ich schreibe sie auch in direkter Rede. Jedes Buch braucht Vorstadien, Skizzen. Aber wie die aussehen, ist doch völlig egal. Für den Schmetterling spielt es auch keine Rolle, wie er als Raupe aussah.

(…)

Das Werkstattgespräch in voller Länge finden Sie weiter unten im Anhang.

Wir danken unserem Gründungs- und Ehrenmitglied Jochen Brunow für seinen Einsatz für die Veröffentlichung sowie dem Verlag Bertz + Fischer für die freundliche Unterstützung!

http://www.bertz-fischer.de/