19. August 2019
 

SCENARIOdigital. Beobachten, nicht werten. Ein Werkstattgespräch mit Rolf Basedow

Autor: Jochen Brunow 

Das folgende Werstattgespräch erschien 2011 im Band SCENARIO 5 im Bertz + Fischer-Verlag als Publikation der Carl-Meyer Gesellschaft und gefördert vom BKM, hrsg. von Jochen Brunow. Unter dem Label SCENARIOdigital wird der VDD weitere Werkstattgespräche und Essays aus dem Drehbuch-Allmanach Scenario veröffentlichen - mit freundlicher Genehmigung des Bertz + Fischer Verlags.

Rolf Basedow ist ein vielfach preisgekrönter Drehbuchautor, der insbesondere in der langjährigen Zusammenarbeit mit dem Regisseur Dominik Graf bahnbrechende TV-Werke geschaffen hat und große Erfolge feierte, darunter der Grimme-Preis für die zehnteilige TV-Serie „Im Angesicht des Verbrechens“. Basedow schrieb zahlreiche TATORTE und Filme der Reihe Polizeiruf 110. Sein Drehbuch für den Kinofilm „Bin ich schön?“ unter der Regie von Doris Dörrie erhielt er den Bayerischen Filmpreis.

Im Werkstattgespräch erörtert er unter anderem die Bedeutung seiner Hamburger Herkunft sowie der Intuition und des genauen Beobachtens für sein Erzählen und  blickt zurück auf die Situation seiner Lehrjahre an der HFF München – eine Zeit, in der Film gemeinsam geträumt wurde und das Scheitern mehr erwünscht war als der Erfolg.

Basedow verfügt über Berufserfahrungen auch in Regie und Schnitt. Der folgende Ausschnitt aus dem Werkstattgespräch beleuchtet Basedows persönliche Erfahrungen mit dem Schnitt sowie das Verhältnis von Schnitt und Drehbuchschreiben:

 

Woher rührt Ihre Affinität zum Schnitt, und was hat Sie dieser Prozess in der filmischen Arbeitsteilung gelehrt? Sie hatten bereits in Hamburg dieses Praktikum absolviert, da bekommt man zumindest erste handwerkliche Voraussetzungen vermittelt. Sie hatten Ihren Kommilitonen in München daher etwas voraus und wurden dann vielleicht automatisch in diesen Bereich geschoben. Aber was hat Sie persönlich am Schneiden interessiert?

 

Bei mir entstehen solche Wegscheidungen eher aus den real vorhandenen Möglichkeiten. Nach der Schule sah ich die einzige Chance, in den Filmbereich hineinzukommen, in diesem Schnittpraktikum. Das Schneiden wurde damals noch als geheimnisvolles Handwerk praktiziert. Es gab Schnittmeister, die haben hinterm Vorhang geschnitten, so dass der Assistent da nicht reingucken konnte. Als Assi hat man die Filmrollen hin und her gerollt und das Material in sauberer Schrift mit weißer Tinte beschriftet. Man musste Bild und Ton alle 25 Felder nummerieren.

Ich kam mir natürlich klein und unbedeutend vor bei dieser Arbeit. Sie war aber doch notwendig, denn nur so konnte man den Film wieder zusammensetzen oder synchron am Schneidetisch ziehen. Und was hinter dem Vorhang geschah, war lange Zeit Alchemie für mich.

 

Und wenn Sie diesen Prozess in Beziehung setzen zu Ihrer Arbeit als Autor, haben Sie da schon etwas für das Schreiben gelernt? Gibt es eine Beziehung zwischen diesen beiden Tätigkeiten?

 

Ich war immer sehr vorsichtig beim Schneiden. Auch wenn ich wusste, wo ein Schnitt eigentlich sitzen musste, habe ich die Einstellung bewusst erst einmal länger gelassen, um ein besseres Gefühl für den Rhythmus und für die Tonkulisse zu bekommen. Im Umkehrschluss heißt das, wenn ich einen Film zu schnell und glatt montiere, haben auch Ton und Musik nicht so viel Freiheit. Dann fehlt jener Nachhall, der so wichtig ist. Eine neue räumliche Dimension, die nur durch den Ton entsteht.

Man muss bei der Montage ein Gefühl dafür entwickeln, dass man nicht separate Einheiten vor sich hat, sondern dass eine gewisse Gleichzeitigkeit vorhanden ist, so kommt man dann zu einer perspektivischen Vorstellung, einem räumlichen Denken. Zu einem Gefühl dafür, dass es noch Räume gibt, die man sich freizuhalten hat für das, was noch zusätzlich kommen kann an Gestik, an Ton, an Musik.

Mir ist auch aufgefallen, dass jeder Schauspieler seinen eigenen Rhythmus hat. Alles hat seine eigene Zeit. Es gibt nicht eine Zeit, der man alles unterordnen kann, sondern Gesten oder Blicke entwickeln plötzlich ihre eigene Kraft. Das sind magische, filmische Momente, die im Material verborgen sind, die man aufspüren kann.

Ich habe immer vermieden, etwas wegzuwerfen, was einem noch einmal nützlich sein könnte. Auch in dem Augenblick, nachdem der Regisseur »Cut« gesagt hat, entstehen noch Ausdrücke und vor allem Blicke, die man nutzen kann.

 

Haben sich Ihre Wahrnehmung von Zeit und Rhythmus im Schnitt und Ihre Beobachtung von Schauspielern auch auf Ihr Schreiben ausgewirkt? Wie gehen Sie mit der Erkenntnis um, dass, wenn wir ein Drehbuch schreiben, wir ja nicht nur einen Charakter oder fiktive Figuren beschreiben, sondern dass wir auch Rollen schreiben?

 

Ich habe das in der Praxis für mich immer getrennt, Schneiden und Schreiben. Jede Station in der Entstehung eines Films hat ihre eigenen Wahrheiten. Die Wahrheiten, die im gedrehten Material liegen, sind andere Wahrheiten als diejenigen, die man beim Schreiben auf das Papier bringt. Wie es auch eine andere Wahrheit bei der Inszenierung gibt, die sich vom Geschriebenen löst.

Aber bei der Montage lernt man, dass man zwei Einstellungen besser gegeneinander schneiden kann, wenn sie unterschiedliche Bildschwerpunkte haben. Sie können schlecht zwei Bilder montieren, die beide rechtslastig sind. Am Anfang denken Sie, warum funktioniert das nicht, warum springt der Schnitt? Irgendwann lernen Sie Bilderganz genau anzugucken und erkennen optische Gesetze. Es muss einen Gegensatz geben, einen Kontrast. Ein klarer Moment, mit dem ein neues Bild anfängt und eben keine verschwommene Bewegung.

Das habe ich bei Dominik Graf gelernt. Er wollte immer einen klaren Einstieg in eine Szene, kein undeutliches Bild. Als ich noch selbst schnitt, habe ich meist das Drehbuch nicht gelesen, sondern habe einfach nur geschaut, was bietet mir das Material, was kann ich da herausholen. Dagegen geht bei mir beim Schreiben der Blick zuerst ins Leben, was kann ich dort entdecken? Das ist etwas ganz anderes, dabei kommt der Blick aus der Wirklichkeit. Viele Szenen meiner Drehbücher habe ich vorher in der Realität gesehen.

 

Sie meinen, dass man als Autor eine vergleichbare Situation im realen Leben unmittelbar selbst miterlebt und erfahren haben muss?

 

Der eine macht es mit Fantasie, ich bin gerne wirklich dabei. Bei hotte im paradies bin ich wie ein Lehrling mit einem Zuhälter mitgelaufen, war Teil des Milieus, habe gesehen und gehört, wie es da zugeht, mir Verhaltensweisen und die Sprache des Milieus einprägt.

Der Kern eines Drehbuchs sind für mich die Dialoge. Die Charaktere erklären sich meist schon durch ihre Art zu sprechen. Im Rotlichtmilieu ist das hörbar. Jeder spricht anders, jeder hat ein eigenes Denken und einen speziellen Codex in dem Milieu. Gute Sprüche sind Teil des Geschäfts und der Lebensphilosophie und überzuckern auch die Bitterkeit und Härte des Milieus. Wenn man jemanden auf St. Pauli zusammenschlug, hieß das aufbügeln.

 

Was ist dann das Ziel Ihres Schreibens? Möglichst nah an diese Erinnerung heranzukommen? Oder gibt es dann noch dieses Moment der Übersteigerung, der Stilisierung, auch des Gedankens daran, dass der Prozess des Gesehenen oder Gehörten noch einmal stattfinden muss in einem Verfilmungsprozess und mit diesem oder jenem konkreten Schauspieler in der Rolle?

 

Der gewonnene Einblick in die Wirklichkeit ist die Basis für mich. Was dann in der szenischen Arbeit passiert, ist naturgemäß eine Verdichtung.

 

(…)

 

Das Werkstattgespräch in voller Länge finden Sie weiter unten im Anhang.

Wir danken unserem Gründungs- und Ehrenmitglied Jochen Brunow für seinen Einsatz für die Veröffentlichung sowie dem Verlag Bertz + Fischer für die freundliche Unterstützung!

http://www.bertz-fischer.de/

 

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