27. Mai 2021
 

SCENARIOdigital. Grenzgänge jenseits der Wegmarken. Ein Werkstattgespräch mit Heide Schwochow

Autor: Jochen Brunow 

Das folgende Werkstattgespräch erschien 2015 im Band SCENARIO 9 im Bertz + Fischer-Verlag als Publikation der Carl-Meyer Gesellschaft und gefördert vom BKM, hrsg. von Jochen Brunow. Unter dem Label SCENARIOdigital veröffentltich der VDD Werkstattgespräche und Essays aus dem Drehbuch-Allmanach Scenario - mit freundlicher Genehmigung des Bertz + Fischer Verlags.

Heide Schwochow ist erfolgreiche Drehbuchautorin und setzt sich auf unterschiedliche Weise für Drehbuchautorinnen und -autoren ein. So vertritt sie u. a. die Sektion Drehbuch im Vorstand der Deutschen Filmakademie und war bis 2020 Mitglied in der Jury für den Deutschen Drehbuchpreis. Heide Schwochow arbeitet regelmäßig mit ihrem Sohn, dem Regisseur Christian Schwochow, zusammen, der ihre Drehbücher inszeniert.

Heide Schwochow hat die Drehbücher für künstlerisch herausragende Kino- und TV-Filme geschrieben, darunter Werke wie „Novemberkind“, „Bornholmer Straße“, "Landgericht“ und „Deutschstunde“.

Im Gespräch mit Jochen Brunow aus dem Jahr 2015 erläutert Heide Schwochow, inwieweit sich deutsch-deutsche Geschichte in ihren Werken und den Figuren ihrer Drehbücher niederschlägt, wie sich marxistische Lehre und das Entwickeln von Drehbüchern zusammendenken lassen und welche Bedeutung der Mauerfall, der ironischer Weise mit dem Bewilligungsdatum ihres Ausreiseantrags aus der DDR zusammenfiel, für sie persönlich und ihre Arbeit an ihren Geschichten hat.

Heide Schwochow beschreibt außerdem, welche Bedeutung es hat, dass sie als Autorin ihr Werk auch auf den folgenden Stufen des Produktionsprozesses begleiten und z. B. bei der Besetzung und beim Schnitt mitreden kann.

Ob sich ihr Wunsch, eines Tages eine Liebesgeschichte in der Provence zu realisieren, erfüllen wird, bleibt auch aktuell noch eine offene Frage an die Zukunft. Möge der Wunsch in Erfüllung gehen.

Im folgenden Ausschnitt aus dem Werkstattgespräch geht es um Einflussnahme auf den Schnitt und die hinderliche Wirkung zu großer Drehbuchbesprechungsrunden auf den kreativen Schreibprozess:

Wie geht es dir mit diesem Moment, wenn der Film zum dritten Mal entsteht, nämlich am Schneidetisch? Erzählerische und inszenatorische Entscheidungen, die man im Vorfeld getroffen hat, um zum Material zu kommen, werden dann noch einmal gewogen und akzeptiert oder für zu leicht befunden. Wie hast du diesen Prozess erlebt, gerade durch die persönliche Nähe zum Regisseur?

 

Ich habe das große Glück, dass Christian und ich schon über die Besetzung miteinander reden und ich in den ganzen Prozess der Filmherstellung
sehr einbezogen werde. Mir tun die Drehbuchautoren leid, die sagen: »Oh Gott, da ist ein Film entstanden, der hat mit meinem Drehbuch gar nichts mehr zu tun.« Es ist purer Luxus, dass ich diesen
Leidensprozess glücklicherweise nie erleben musste. Ich sehe auch Muster und bekomme den Prozess des Schneidens mit. Die Rohschnittfassung sehe ich meistens, und später in Etappen auch andere Fassungen, die wir immer wieder gemeinsam besprechen.

Bei NOVEMBERKIND dauerte der Schnitt bestimmt ein halbes Jahr, und da ist der Film völlig neu entstanden. Das Drehbuch war sehr viel epischer, und durch die Montage ist ein Zug hineingekommen, der mir beim Schreiben nicht gegeben war. Insofern habe ich eher gute Erfahrungen gemacht, auch weil ich nicht so eitel bin zu sagen: »Ich habe das Drehbuch geschrieben,
und jetzt muss das genauso verfi lmt werden.«

 

Betrifft diese positive Erfahrung auch Redaktionen und Produzenten?

Ja, auch da habe ich Glück gehabt. Die ersten beiden Filme wurden von einer Redakteurin betreut, die sehr offen ist, die vor allem im Debütbereich arbeitet, Stefanie Groß vom Südwestrundfunk. Und dann gab es einen weiteren Luxus bei den beiden ersten Filmen, denn die hat ein ganz junger Produzent gemacht, Jochen Laube, der eine unglaubliche Begabung für diesen Beruf hat. Er hat Christian und mich immer geschützt. Die UNSICHTBARE war wahrlich nicht sein Stoff, weil er gar nicht so ein Theatergänger ist. Aber ein kluger Mensch, der dem Buch nicht seine eigene Meinung überstülpt, sondern eher Fragen stellt. Es wäre für mich schwierig gewesen, wenn ich da wie ein kleines Mädchen hätte sitzen müssen. Die Diskussionen fanden immer auf Augenhöhe statt.

Beim dritten Film WESTEN war es deshalb ein bisschen anders, weil das eine größere Runde war. Da gab es drei Produzenten und vier Redakteure. Jeder dieser Redakteure sah einen etwas anderen
Film. Damals bin ich aus einer Runde rausgegangen und wusste gar nichts mehr. Ich war total blockiert. Dann habe ich zwei Tage gewartet, über diese unterschiedlichen Sichtweisen nachgedacht und dann eine Rund-Mail geschrieben und noch einmal unsere ursprünglichen Intentionen erklärt. Das ist mit Respekt aufgenommen worden, es hätte auch anders laufen können. Aber ich musste irgendetwas finden, wie ich damit umgehe. Wir sind zu zehnt am Tisch, wenn das wieder so geht, und ich laufe raus und bin rammdösig und der Kopf ist zu, dann kann daraus nichts Gutes werden.

 

Alleine durch die Anzahl der Personen entsteht meistens eine Kakophonie. Solange es darum geht zu analysieren, was möglicherweise nicht funktioniert, lässt sich immer noch – wenn alle Beteiligten einigermaßen professionell sind – eine große Übereinstimmung herstellen. Aber in dem Moment, wo man fragt: »Wie lösen wir das? Was machen wir, um diese Dinge zu beheben?«, dann geht es sofort in die unterschiedlichsten Richtungen. Und da muss man aufpassen, sich nicht von seinem Weg abbringen zu lassen.

Wenn in einem Drehbuchgespräch viele Kritikpunkte auftauchen, und ich merke, die sind völlig richtig, dann fange ich an, das zu verändern, und merke, das ganze Manuskript muss sich verändern, und zwar nicht nur, indem ich Pflaster klebe, sondern es wird eine völlig neue Idee notwendig. Dann wiederum heißt es: »So viel wollten wir doch eigentlich gar nicht verändert haben.« Aber nur so geht es.

(...)

 

Das Werkstattgespräch in voller Länge finden Sie weiter unten im Anhang.

Wir danken unserem Gründungs- und Ehrenmitglied Jochen Brunow für seinen Einsatz für die Veröffentlichung sowie dem Verlag Bertz + Fischer für die freundliche Unterstützung!

http://www.bertz-fischer.de/