Herzlichen Glückwunsch, Wolfgang Kohlhaase! Ein Gruß vom VDD-Vorstand und eine Würdigung von Torsten Schulz
VDD-Ehrenmitglied Wolfgang Kohlhaase feiert am 13. März 2021 seinen 90. Geburtstag. Im Namen seiner Mitglieder sagt der VDD-Vorstand: Herzlichen Glückwunsch!
Wir freuen uns sehr, dass wir an dieser Stelle aus Anlass des Geburtstages von Wolfgang Kohlhaase eine persönliche Würdigung des Drehbuchautors durch den Schriftsteller Torsten Schulz veröffentlichen können. Sie finden den Text weiter unten bzw. auch als PDF im Anhang. Herzlichen Dank, Torsten Schulz!
Zuvor verneigen wir uns persönlich vor dem Ausnahmeautor Kohlhaase, der wie kein anderer und in untrüglicher Konsequenz und ohne Umwege über das Fernsehen Filme für die große Leinwand schreibt, die seit Jahrzehnten prägende und unvergessliche Kinomomente schaffen. Wir schauen in größter Anerkennung herauf auf das noch unvollendete künstlerische Lebenswerk eines außergewöhnlichen Kollegen und empfinden zugleich tiefe Dankbarkeit für die immer wiederkehrende Einladung, in und durch Wolfgang Kohlhaases Geschichten einen neuen, menschennahen Blick auf unsere Welt und unsere menschlichen Verhältnisse werfen zu können.
Wolfgang Kohlhaases Schaffen konnte nach Jahrzehnten erfolgreicher Arbeiten für die DEFA auch im wiedervereinigten Deutschland eine Fortsetzung finden. Entstanden sind unter vielen anderen so bedeutende Werke wie „Solo Sunny“ in der Regie von Konrad Wolf, „Der Aufenthalt“ in der Regie von Frank Beyer, „Die Stille nach dem Schuss“ in der Regie von Volker Schlöndorff, „Sommer vorm Balkon“, „Als wir träumten“ beide in der Regie von Andreas Dresen sowie „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ in der Regie von Matti Geschonnek.
Wolfgang Kohlhaases Werk führt uns dabei immer wieder eines vor Augen: wie intensiv und künstlerisch reichhaltig der Kinofilm in Deutschland sein kann, wenn er auf einem starken Drehbuch aufbaut, wenn professionelle Erzähler oder Erzählerinnen den Raum für ihre Geschichten und die Anerkennung als gleichberechtigte Partner im künstlerischen Filmentstehungsprozess erhalten.
Vorstand und Geschäftsführung des VDD
Lesen Sie jetzt die persönliche Würdigung, geschrieben von Torsten Schulz:
Wolfgang Kohlhaase zum Neunzigsten!
Ich war siebzehn Jahre alt, als ich das Glück hatte, Wolfgang Kohlhaase kennenzulernen. In einer kleinen Bibliothek in Berlin-Johannisthal las er aus seinem Erzählungsband „Silvester mit Balzac“, und ich erlebte, wie jemand aus meiner Berliner Sprache, die auch seine Sprache war, Literatur machte. Ohne die Aura des Provinziellen, ohne Folklore. Ganz im Gegenteil: „Ortszeit ist immer auch Weltzeit“, wie er sagte. Um es zu begreifen, traf ich mich mit ihm, fragte ihn, zeigte ihm kleine Geschichten von mir, nahm seine Kritik und Ratschläge begierig auf. Was mir in diesem Zusammenhang erst bekannt wurde: Er war nicht nur Schriftsteller, sondern vor allem ein renommierter Drehbuchautor. Gut, dass die Bibliothek in Johannisthal eine vertrauliche Wohnzimmeratmosphäre gehabt hatte.
Ich lebte in einem warmherzigen proletarischen Elternhaus, ohne jegliche Verbindung zu irgendwelchen Künstlern oder Intellektuellen, aber meine Neugierde ließ mich über den Schatten meiner Schüchternheit springen und den Kontakt zu ihm aufrechterhalten. Einmal erzählte er von seinem Vater, Karl Kohlhaase, Maschinenschlosser. Seine Arbeiterherkunft war gut gegen meine Schüchternheit. Schließlich schrieb ich sogar einen Brief aus dem Armeedienst. Eine furchtbare Zeit. Der Brief gab mir ein bisschen Kraft und die Antwort schon viel mehr als ein bisschen.
1980 kam Wolfgangs Spielfilm „Solo Sunny“ in die Kinos der DDR, und ich, mittlerweile zwanzig, den Grundwehrdienst gerade hinter mir, konnte es kaum fassen, dass solch ein Film in unserm real existierenden Sozialismus nicht nur entstanden war, sondern auch gezeigt wurde. Dieser kreatürliche Individualitätsanspruch einer jungen Frau, die Sängerin sein will, war alles andere als selbstverständlich in der kollektivistisch geprägten DDR.
Mehrmals las ich das Drehbuch zu „Solo Sunny“ und auch weitere Drehbücher von Wolfgang. Alle waren szenische Literatur, eigen, originär. Mit viel Untertext, aus dem sich Assoziationsraum ergibt. Mit dem präzisen Blick auf Figuren und Milieus und die einfachen Geschichten, bei denen die Einfachheit Voraussetzung für Tiefe und Nachklang ist. Auf diese Weise entdeckte ich das Drehbuch als Kunstwerk und die Kunst des Drehbuchschreibens.
In die Zeit meines Studiums an der Filmhochschule fiel der Spielfilm „Der Aufenthalt“. Ich lud Wolfgang ein, und mehrere Seminargruppen diskutierten mit ihm in einem engen Internatszimmer und abseits des offiziellen Unterrichts. Er war der Mann, der kam, wenn ihn Studenten einluden, und der dafür nicht Dozent oder so etwas sein musste. Wir wussten, dass er mit diesem Film den Regisseur Frank Beyer in die DEFA zurückgeholt hatte, und Wolfgang erzählte es freimütig und unmissverständlich. Frank Beyer, der eine Art Berufsverbot hatte, im Westen arbeitete, während die DEFA seine künstlerische Heimat war.
Wie großartig und schier alterslos „Der Aufenthalt“ ist, wurde mir klar, als ich ihn vor drei Jahren wiedersah. In einem schönen, alten Kino in Saas Fee, einem Ort in den Schweizer Bergen, wohin wir für ein paar Workshops mit Studentinnen und Studenten aus Wien, Zürich und Babelsberg eingeladen worden waren. In diesen Tagen wirkte Wolfgang jünger und jünger, je mehr er über seine Arbeit sprach. Ich erlebte seinen lakonischen, manchmal schelmischen Witz, seine präzise und völlig unprätentiöse analytische Art, auch seine melancholische Sanftheit und seine unverminderte Begeisterungsfähigkeit. Vieles, was er sagte, kannte ich bereits, aber es war schön, all das wieder und neu zu hören.
Es stimmt mich traurig, dass es solcherart Drehbuch-Künstler wie Wolfgang Kohlhaase immer seltener gibt. Die Verhältnisse sind nicht mehr so. Vielleicht kommt Neues. Bestimmt. Das vitale Erzählen, das, von der Realität ausgehend und über den Umweg der Erfindung, zu einer vertiefenden Sicht auf die Realität führt, kann doch eigentlich nie zu Ende sein.
Lieber Wolfgang, ich wünsche Dir gute und arbeitsreiche Jahre. Vielleicht kommt neben dem einen oder anderen Drehbuch auch noch ein Erzählungsband. Oder ein Roman… Ich bin und bleibe sehr gespannt.
Torsten Schulz, Schriftsteller und Professor für Praktische Dramaturgie an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf. Er schrieb Drehbücher, u.a. „Raus aus der Haut“ (Regie: Andreas Dresen) und „Boxhagener Platz“ (Regie: Matti Geschonneck) nach seinem eigenen gleichnamigen Roman. Zuletzt erschien sein Roman „Skandinavisches Viertel“.
In unserer Reihe "Für den VDD liest..." hat Torsten Schulz aus seinem aktuellen Roman gelesen. Das Video zur Lesung finden Sie hier.
Wolfgang Kohlhaase im O-Ton können Sie nachlesen in einem Werkstattgespräch mit VDD-Ehren und Gründungsmitglied Jochen Brunow, das wir in unserer Reihe SCENARIOdigital veröffentlich haben.
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