Offener Brief des VDD Vorstands an Tom Buhrow
Tom Buhrow hat in einer viel beachteten Rede vor dem Hamburger Überseeclub Gedanken zur Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks geäußert. Dies ist die Reaktion des Vorstands des Verbands Deutscher Drehbuchautoren (VDD).
Berlin, 04.11.2022
Sehr geehrter Herr Buhrow,
Sie sind der bestbezahlte festangestellte Mitarbeiter des deutschen Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks. Sie sind seit über 37 Jahren für die ARD tätig. Nun haben Sie am Mittwochabend vor dem Hamburger Überseeclub [sic!] eine vielbesprochene Rede über die Zukunft des Senderverbunds gehalten. Darin fordern Sie – im Alter von 64 Jahren und am Ende ihrer Karriere - massive Reformen und Einschnitte in das System. Sie wollen einen „gesamtgesellschaftlichen runden Tisch“, an dem es keine „Tabus und Denkverbote geben“ darf, stellen die Existenz von ZDF und ARD in Frage, kritisieren das föderale System. Sie stellen Klangkörper, Radio- und Regionalprogramme zur Disposition. Interessant ist, dass Sie zum Beispiel kein Wort über die Renten- und Altersvorsorgeaufwendungen verlieren. Allein für Ihre Altersversorgung sind gerade vier Millionen zurückgestellt worden. Und noch bestürzender ist die Tatsache, dass Sie mit vielen Fragen, aber kaum Antworten nach Hamburg gekommen sind. Darf man von einem Intendanten des WDR und ARD-Vorsitzenden nicht mehr Problemlösungen statt nur Fragen erwarten? Fragen, denen sich Ihre Nachfolger stellen müssen? Denn Sie sind dann ja in Rente.
Sie erzählen, dass Sie sich als „Reformer“ Gebührenkritikern gestellt hätten. Sie hätten ja so viel ändern wollen, aber was kann man in knapp zehn Jahren Intendanz der größten Sendeanstalt der ARD schon ausrichten? Schuld sind immer nur die anderen. Schuld ist die KEF, schuld sind die Politikerinnen und Politiker, schuld sind gar die Interessenverbände, also Menschen wie wir. Sie befürchten, sollten Sie sich mit uns anlegen, „heftigsten Widerstand zu bekommen“. Ja, wir leisten Widerstand, denn wir kämpfen für faire Arbeitsbedingungen für alle Kolleginnen und Kollegen. Wir kämpfen dafür, dass das reichste Fernsehen der Welt Programm macht, das international mithalten kann. Wir kämpfen für plurale, meinungsstarke fiktionale Stimmen der Demokratie. Wir spiegeln die Probleme der Menschen in Geschichten wider, und verschaffen ihnen so Gehör, geben ihnen ein Gesicht. Mit unseren Filmen und Serien erfüllen wir Ihren Auftrag, der Ihnen per Medienstaats-vertrag aufgegeben ist. Wir versuchen genau das immer wieder aufs Neue und so klar und komplex wie wenige andere.
Sie beklagen, dass die ARD nichts gegen die Probleme tun könne, die die föderale Struktur verursacht, welche die DNA der ARD darstellt und die nach dem zweiten Weltkrieg entstand. Ja, es gibt Probleme. Der Apparat ist groß und träge, es gibt Doppelstrukturen und Altlasten, daran sollte sich unbedingt etwas ändern, aber stattdessen beobachten wir mit Sorge, dass der schleichende Umbau des föderalen Systems die inhaltliche Ebene beschädigt. Ein Beispiel: Seit Mitte der 2000er Jahre wurde nach und nach fiktionales Budget weg von den Landesrundfunkanstalten hin zur Degeto verfrachtet. Im Jahr 2021 machte der Anteil der unter Beteiligung der Degeto produzierten und lizensierten Filme und Mehrteiler in der ARD bereits 82 Prozent (!) aus. Ein Dutzend Redakteurinnen und Redakteure stemmt diese Masse von Frankfurt aus, während unzählige Redakteurinnen und Redakteure in den Landesrundfunkanstalten den notorischen Geldmangel verwalten, aber ihrerseits weiterbezahlt werden müssen. Statt also die Kompetenz und Kreativität der Kolleginnen und Kollegen in den Landesrundfunkanstalten zu nutzen, entscheiden einige wenige Personen, die in den Büros am Steinernen Stock in Frankfurt sitzen, darüber, wie unsere große, bunte, wilde Welt erzählt werden soll. Ist das noch Föderalismus im Sinne der Meinungsvielfalt? Was ist aus dem schlauen Gedanken der Gründerväter der ARD geworden? Statt das Gute, das die ARD leistet, zu betonen, statt die Vielfalt zu fördern und so den Zusammenhalt der Gesellschaft zu stärken, befördern Sie einen öden Gleichklang. Ja, das System muss schlanker, moderner, agiler werden, aber das erreicht man nicht über die Beschneidung und Glättung der Inhalte!
Lieber Herr Buhrow, eine Welt, in welcher Medienkonzerne die Pluralität der Stimmen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zurechtschleifen, wird nicht näher zusammenrücken. Sie wird gespalten. Und genau diese Spaltung gilt es in Zeiten wie diesen zu verhindern. Das ist die Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in diesem Land! Und Sie müssen Ihren Teil dazu beitragen, das Gute, das Besondere zu stärken. Nutzen Sie die Zeit, die Ihnen als Intendant des WDR, als Vorsitzender der ARD bleibt, um genau das zu tun. Wir unterstützen Sie dabei gerne, denn wir wissen, wie man eine erfolgreiche Story mit Happyend erzählt.
Der Vorstand des VDD