Der deutsche Film ist tot, es lebe der deutsche Film: Rede von Nicole Mosleh und Christian Lex bei der Verleihung des Deutschen Drehbuchpreises 2023
...denn es gibt die Fachkräfte, die die Zukunft des deutschen Films erschaffen: Drehbuchautorinnen und -autoren!
Wir veröffentlichen hier die Rede von den DDV-Vorständen Nicole Mosleh und Christian Lex, die sie im Rahmen der Verleihung des Deutschen Drehbuchpreises am 17.02.2023 in der Landesvertretung Rheinland-Pfalz gehalten haben.
Foto: Die ModeratorInnen Christian Lex und Nicole Mosleh, (c) Oliver Walterscheid
Nicole:
Sehr verehrte Frau Staatsministerin, liebe Claudia Roth, sehr geehrte Frau Britta Lenz als Ständige Vertreterin der Bevollmächtigten des Landes Rheinland-Pfalz, liebe Nominierte, liebe Jury, liebe Gäste, mein Name ist Nicole Mosleh und ich begrüße Sie ganz herzlich zum Deutschen Drehbuchpreis 2023. Wir alle freuen uns darauf, heute Abend das Leben, die Filmkunst und ganz besonders unsere drei nominierten Drehbücher gemeinsam zu feiern. Für uns Autorinnen und Autoren ist dieser Tag noch aus einem anderen Grund besonders. Heute haben wir die Fusion zwischen VDD und K18 beschlossen und heißen ab jetzt Deutscher Drehbuchverband.
Christian:
Aber Nicole das reicht doch nicht. Wir haben doch nicht einfach nur fusioniert. Wir haben eine neue Verbandskultur entwickelt. Haben uns über Monate lang damit beschäftigt, wie wir am besten in die Zukunft gehen können! Haben eine Kultur entwickelt, um die uns ganz Europa beneidet!!
Zukunft wird aus Mut gemacht!
Nicole:
Du bist doch noch gar nicht dran, Christian!
Und für all diejenigen, denen das alles zu schnell, zu feministisch, zu divers daherkommt, habe ich einen urdeutschen - gehört Bayern überhaupt zu Deutschland? - ...also einen urdeutschen, männlichen Moderationspartner mitgebracht: Christian Lex!
Christian:
Keine Angst Frau Roth – ich lass Sie als Augsburgerin hier heute nicht allein!
Mit der Fusion, der Verwandlung von VDD und K18 in den Deutschen Drehbuchverband geht auch eine personelle Veränderung einher.
Nicole:
Katharina Amling, Kristin Derfler, Peter Henning und Sebastian Andrae haben über Jahre Unglaubliches für die Sichtbarkeit von Drehbuchautorinnen und -autoren, die Professionalisierung unseres Berufsverbandes geleistet. Die Liste Ihrer Erfolge ist lang und mit ihnen geht eine Ära zu Ende. Ihr Lieben – wir ziehen tief unseren nicht vorhandenen Hut und sagen Danke.
Christian:
Jetzt wollen wir diejenigen ins Rampenlicht bringen, die wir heute Abend feiern:
Nicole:
Ali Tamim für "Noah". Der Tod eines jungen arabischen Mannes bei einer Polizeikontrolle wird zum Ausgangspunkt für drei ineinander verschränkte Episoden, in denen die Wut der Marginalisierten und der Schmerz der Mutter des Opfer eine Gruppe von Ordnungshütern trifft, die aus Ignoranz und Überforderung eine Reihe falscher Entscheidungen trifft. Die Geschichte ermöglicht uns den überfälligen Blick von der anderen Seite auf die deutsche Realität.
Christian:
Hille Norden für "Ficken für Freiheit". Die Geschichte von zwei, die unterschiedlicher nicht sein könnten und deren Leben ohne ihr Wissen durch ein düsteres Geheimnis miteinander verbunden ist. Eine Geschichte mit ungeahnten Wendungen, in der die Täter- und Opferrollen verschwimmen und deren mutige Autorin sich einzig von der Suche nach Wahrhaftigkeit leiten lässt.
Nicole:
Milan Skrobanek und Eibe Maleen Krebs für "Zwischen den Zeilen". Eine Liebesgeschichte zwischen dem blinden Florian und der gehörlosen Kati, in der mit allen Sinnen kommuniziert, gerungen und geliebt wird und die einen humorvollen und berührenden Kinofilm erwarten lässt.
(...)
Nicole:
Liebe Claudia Roth, sie haben uns Filmschaffende aufgerufen, unbequem zu sein und herausfordernd. Parallel dazu schieben Sie gerade eine der größten Reformen der Förderung seit über fünfzig Jahren an und versprechen, Film neu zu denken. Stehen Sie dabei auch weiterhin an der Seite derer, mit denen der neue Film beginnt: dem Drehbuch und seinen Schöpfern! Wir sind im Kampf um die Freiheit und um bessere Filme an fest Ihrer Seite. Meine Damen, meine Herren – begrüßen Sie mit einem Applaus die Staatsministerin für Kultur und Medien der Bundesrepublik Deutschland, Claudia Roth!
(...)
Nicole:
"Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser wird wenn es anders wird; aber so viel kann ich sagen, es muß anders werden, wenn es gut werden soll."
Christian:
Hat das der Landeswahlleiter von Berlin nach dem Chaos im letzten Jahr gesagt?
Nicole:
Nein. Dieses Zitat stammt von Georg Lichtenberg, einem Experimentalphysiker aus dem 18. Jahrhundert. Kennt bloß keiner.
Christian:
Kein Wunder, er war ja auch Autor! Wer kann sich schon an Autoren erinnern!
Nicole:
Aber damit ist es ja schon geraume Zeit vorbei.
Christian:
Stimmt. Heute muss man sich ja auch noch Autorennamen merken.
Nicole:
Ja, wir leben nämlich in Zeiten des Umbruchs und großer Veränderungen.
Christian:
Jetzt schreiben wir schon Dialoge für uns selbst.
Nicole:
Eben. Wir tun etwas. Wir schreiben! In transformativen Zeiten hat man immer die Wahl: Will ich Motor sein oder Bremser?
Christian:
Es sei denn man ist ein Kreativer. Wir Drehbuchautorinnen und -autoren haben keine Wahl, wir sind immer aktiv. Wir sind die Kraftwerke, die Mitochondrien einer Gesellschaft.
Nicole:
Wir schieben Entwicklungen an, geben die Richtung vor.
Christian:
Wir geben Gas.
Nicole:
Wenn man uns denn lässt.
Liebe Claudia Roth – auf der Verleihung des Deutschen Filmpreises meinten Sie, Sie würden sich mit aller Kraft dafür einsetzen, Freiräume für uns Kreative zu schaffen.
Christian:
Wir wollen Ihnen nur zurufen: Seien Sie vorsichtig – die Branche könnte damit überfordert sein. Das kennt die nicht!
Nicole:
In Deutschland werden Filme leider allzu oft so wie Autos produziert. Man orientiert sich an Stabilität und Sicherheit, am kleinsten gemeinsamen Nenner, anstatt Risiken einzugehen -
Christian:
Achtung, da hinten schläft schon jemand ein!
Nicole:
Ja kein Wunder. Herausragende Filme und Serien werden nicht aus dem Wiederholen generiert. Sie sind originär, überraschend, oft auch irritierend.
Christian:
So wie z.B. der deutsche Film letztes Jahr im Wettbewerb von Cannes.
Nicole:
In Cannes? Was für ein deutscher Film?
Christian:
Doch. Der hat sogar gewonnen. Triangle of Sadness.
Nicole:
Das ist doch kein deutscher Film?!
Christian:
Wir haben drei Prozent des Gesamtbudgets finanziert!
Nicole:
Ja. So gesehen haben wir auch bewiesen, was möglich ist, wenn man keinen deutschen Redakteuren und Gremien einen Stoff erklären muss.
Christian:
Aber wir wollen hier ja kein Bashing des deutschen Fernsehens oder gar der deutschen Fördermentalität betreiben. In diesem Land entstehen ja immer noch großartige Filme
Nicole:
Leider oft nicht dank, sondern trotz der Fördersystematik.
Christian:
Aber man kann nicht behaupten, dass die Fiktion in Deutschland nicht geliebt wird.
Nicole:
Stimmt. Die Sehnsucht nach Wirtschaftlichkeit, der sich viele Förderungen bedingungslos unterordnen, ist die schönste Fiktion. Die wenigsten der in Deutschland produzierten Filme erwirtschaften Gewinn.
Christian:
Dafür spielen sie national und international meist keine Rolle. Das ist immerhin fair!
Nicole:
Du, Christian... ich glaub, wir haben da jetzt gerade so eine komische Kurve genommen. Wir sind doch heute Abend eigentlich hier, um den deutschen Film zu feiern. Das wird jetzt grad alles zu pessimistisch.
Christian:
Das kann man ja auch verstehen, bei den ganzen Herausforderungen unserer Zeit. Dabei könnte man bei der gleichen Ausgangslage auch zum Optimisten werden.
Nicole:
Was?
Christian:
Optimismus bedeutet, dass genau unter diesen Umständen eine substanzielle Veränderung zum Guten möglich ist. Komödie ist Drama plus Zeit.
Nicole:
Stimmt. Wenn also wer damit umgehen kann, dann wir. Jetzt kann etwas Neues entstehen. Etwas, wofür zuvor kein Platz war.
Christian:
Platz. Viel Platz. Womit wir wieder bei obigem Freiraum wären, der sich schnell mit vielen unbeantworteten Fragen füllt. Zum Beispiel: Welche Geschichten erzählt man in solchen Zeiten?
Nicole:
Eigentlich sind sich ja alle einig. Es soll diverser werden, vielfältiger, mutiger. Die Geschichten sollen "spitzer" erzählt werden.
Christian:
Ja, man kann nur sagen: Her mit den Stoffen, die die Menschen ins Kino locken und ein junges Publikum zum linearen Fernsehen oder wenigstens in die Mediatheken!
Nicole:
Das Problem ist, dass sie gleichzeitig niemanden verschrecken dürfen...
Christian:
Du meinst "spitz" erzählte Stoffe, die aber niemanden piksen dürfen...
Nicole:
Und es darf bloß nicht der Hauch einer Möglichkeit des Scheiterns an ihm kleben.
Christian:
Wir würden Ihnen an dieser Stelle gern ein Geheimnis verraten...
Nicole:
...das funktioniert nicht.
Christian:
Wenn wir eine radikale Änderung im Profil der Zuschauer wollen und Filme, die auch international eine Stimme haben...
Nicole:
...und falls Sie noch unsicher sind; das ist eine radikale Änderung!...
Christian:
…dann sind radikale Änderungen auch in dem was produziert wird und auch wie es produziert wird, unvermeidlich.
Nicole
Dabei ist da noch so vieles, was wir nicht wissen. Aber was wir wissen, ist, dass es keine gute Idee ist, Antworten aus der Vergangenheit heraus zu kramen, auf Fragen, die uns die Zukunft stellt.
Christian:
Wenn die Zustellung von Briefen, so wie in unserer Hauptstadt, nicht gut funktioniert, käme auch niemand auf die Idee, wieder auf Brieftauben umzustellen.
Nicole:
Stattdessen schauen wir nach vorne und suchen Lösungen, die noch nicht gedacht worden sind.
Christian:
Du meinst nicht zufällig Visionen? Utopien?
Nicole:
Genau! Jemand, der die richtigen Fragen stellt. Und neue, andere Antworten gibt als die, die wir schon haben. Und diese Antworten stecken manchmal im Alltäglichen. Oft kann erst durch das Einfache das scheinbar Unmögliche zum Blühen kommen. Jemanden, der sich nicht ständig daran orientiert, was gestern Erfolg hatte. Jemanden, der Risiken eingeht und etwas, das so noch nicht erzählt wurde auf die Beine stellt.
Christian:
Da können wir Sie nur beglückwünschen, heute den Weg zu uns gefunden zu haben. Denn hier bekommen Sie die Fachkräfte, die die Zukunft des deutschen Films erschaffen: Drehbuchautorinnen und -autoren!
Nicole:
Wir verbringen einen Großteil unserer Zeit damit, etwas, was es noch nicht gibt, bis ins kleinste Detail neu zu denken. Wir entwickeln Welten, Utopien, Visionen.
Christian:
Gut, manchmal ist diese Vision auch für den Papierkorb...
Nicole:
...aber im besten Fall überraschend und klar und aufregend und anders.
Christian:
Wir müssen halt weiter - denken.
Wir müssen hin – schauen.
Auf – rütteln.
Probleme benennen.
Die verschiedenen Soziotope verstehen und in den Geschichten spiegeln.
Nicole:
Stop, stop, stop. Meinst du – uns kann noch jemand folgen?
Christian:
Muss man doch gar nicht. Man muss nicht alles können, man muss nur wissen, an wen man sich wenden kann.
Nicole:
So schließt sich der Kreis wieder.
Christian:
Und wir kommen damit zur Überraschung des Abends. Der Schlüssel, den wir brauchen, um Filme und Serien auf der Höhe der Zeit zu bekommen liegt -
Nicole:
...beim Drehbuch!
Christian:
Und das feiern wir heute. Mit dem Deutschen Drehbuchpreis, der hier heute Abend vergeben wird.
Nicole:
An Projekte, die noch nicht realisiert worden sind, aber ein Vakuum füllen. Projekte, die mutig, aufregend anders sind, die vom Leben zwischen den Polen von Ängsten und Träumen erzählen.
Christian:
Meine Damen und Herren, der deutsche Film ist tot, es lebe der deutsche Film.
Nicole:
Schön, dass Sie hier sind.
Es gibt viel zu tun.
Lassen Sie es uns angehen!
(...)
Nicole:
Meine Damen und Herren,
das war der Deutsche Drehbuchpreis 2023!
Christian:
Wir sagen – Danke fürs Dabeisein.
Hier wird die Zukunft gerockt.
Nicole:
Fangen wir doch gleich am Büffet damit an.
Gute Gespräche.
Guten Abend.
Herzlichen Dank an Nicole Mosleh und Christian Lex für die kurzweilige Moderation der Preisverleihung.
Die Verleihung des Deutschen Drehbuchpreises und der Empfang der Drehbuchautorinnen und -autoren sind eine Veranstaltung des DDV (VDD) in Kooperation mit der BKM, der Landesvertretung Rheinland-Pfalz und dem Krimifestival Tatort Eifel.